Aaach, The Last of Us. Als einer der letzten Gäste dieser spezifischen Party spielte ich im Oktober 2016 zum ersten Mal Naughty Dog's postapokalyptisches Funghi-Zombie Adventure und konnte am Ende der etwa achtstündigen Reise gar nicht genug Kreide fressen, um mit lieblicher Säuselstimme in die Lobeshymnen einzusteigen.
Sicher, nichts an dem Story Pitch von The Last of Us klingt wirklich innovativ; shit, es klingt nicht einmal interessant. In Zeiten des totalen Dystopia Zeitgeistes voller The Walking Deads, Hunger Gamesezezsss und Divergents schien kaum noch Platz für ein weiteres Apokalyptoabenteuer aus dem Baukasten, sei es auch als noch so extraordinaire verklärt.
Aber, wie fast immer, gilt: Die besten Geschichten erzählen Zwerge, die auf den Schultern von Riesen stehen. Man muss weder das Rad neu erfinden noch eine zweite Eisenzeit ausrufen, um großartige Dinge zu erschaffen. Die Bühne gehört in The Last of Us ganz klar den Charakteren. An die Reise von Joel und Ellie denke ich trotz des düsteren Settings immer wieder gerne zurück und auch ein kürzlich begonnener Replay konnte das Bild nicht nachhaltig trüben.
Vom strikten Gamedesignwinkel heraus betrachtet könnte das Spiel einiges von God of War lernen, dessen Star neben den einprägsamen Charakteren und der linear- filmreifen Story durch das durchdachte Leveldesign und dynamische Kampfsystem eben auch das Gameplay ist. Aber GoW ist auch 5 Jahre älter und stand vielleicht wiederum selbst auf den Schultern von The Last of Us, Metriod und Souls. Für mich bleibt das Spiel jedenfalls auch 2020 ein Liebling.
Dementsprechend wurde mein hypegetränkter glucksender Aufschrei ob des Teasers für den Nachfolger auch schnell von so manchen Bedenken abgelöst.
Muss das sein? Gerade das Ende des Vorgängers war ambivalent-großartig
Wird hier ein neues Franchise aus einem hervorragenden Einzelspiel gemolken?
Wird hier mein Kopfkanon eingerissen? --> Looking at you, Pocahontas 2
Natürlich, wie so häufig, siegte mein innerer Schweinehype und ich freute mich schon bald und bis heute sehr auf eine Rückkehr in die Welt des unverhofften quasi Vater/Tochter Gespanns.
Nach einiger Verzögerung, nicht zuletzt durch Corona, soll das Spiel nun endlich am 19.6. 2020 erscheinen. Begleitet wurde diese Neuigkeit allerdings von massiven Story Leaks und Skandalberichten rund um Naughty Dog, die ohne Zweifel einen eigenen Gedankengang wert sein werden. Worum es mir heute primär geht, ist die Natur von Spoilern. Ich schicke vorweg, dass ich mittlerweile alles über die Story von The Last of Us 2 weiß, was das Internet weiß. In meiner Medienwelt gab es diesbezüglich einfach kein Entkommen. Das Schicksal eines wichtigen Charakters aus dem Vorgänger wurde mir zum Beispiel in der Kommentarsektion einer Plenumsdiskussion über die Ghost of Tsushima Präsentation gespoilert. Zuerst war ich wütend, aber nicht wirklich lange. Denn dann setzte bei mir derselbe Gedanke ein, der mich immer beschleicht, wenn ich über Spoiler stolpere.
Na und? Ich will doch trotzdem wissen, wie es passiert. Wie es inszeniert ist, wie ich mich dabei fühle, wie die Charaktere des Spiels auf Ereignis X reagieren, oder ob sie an Ereignis Y zerbrechen.
Ich kann gewisses Verständnis dafür aufbringen, dass Menschen den Moment der Überraschung betrauern. Die wenigen Sekunden des Schocks, der Freude oder des Schmerzes. Gleichzeitig habe ich nie verstanden, wie man sich von Spoilern ein ganzes Buch, einen ganzen Film oder, wie in diesem Fall ein ganzes Spiel ruinieren lassen kann und dabei sogar so weit geht, es gar nicht erst zu spielen, lesen oder zu gucken. Das kann ich absolut nicht nachvollziehen.
Wenn ich schon vorher weiß, dass Darth Vader Lukes Vater ist, bin ich dann weniger an seiner Lebensgeschichte interessiert? Daran, wie es mit ihm soweit kommen konnte? Ist dadurch wirklich der Moment zerstört, der Film plötzlich langweilig, die Musik nicht mehr orchestral bewegend? Ich finde nicht.
Wenn ich vorher weiß, dass Snape Dumbledore tötet, will ich denn dann gar nicht mehr wissen, was einen Charakter, dem ich jahrelang in wechselseitiger Loyalität durch Hogwarts gefolgt bin, zu so einer Tat bringt? Will ich nicht Dumbledores oder Harrys Reaktion erleben? Die Szene vollständig aufsaugen und die Erfahrung machen, wie sich die Dynamik der Geschichte ohne den großen Mentor verändert? Ich finde doch.
Wenn ich schon vor der dritten Staffel von Game of Thrones weiß, was auf der Roten Hochzeit passiert, interessiert mich dann die Reise dahin nicht mehr? Sind mir die Folgen egal, der Schneeballeffekt? Nein.
Oft ist sogar genau das Gegenteil der Fall. Wenn ich schon im Vorfeld einen Spoiler erfahre und das Schicksal von Charakteren oder den Auslöser eines bestimmten Ereignisses kenne, setzt bei mir etwas ein, das ich hier mal den Prequel Effect nennen will. Ja, ich kenne die Folgen von bestimmten Handlungen einzelner Figuren; ja ich weiß wie jemand (manchmal Jahre) später zu Tode kommt. Aber gerade deswegen leide ich umso mehr mit. Gerade deswegen sind bestimmte Aussagen doppelt kraftvoll oder schmerzhaft, weil ich, wie ein auktorialer Erzähler, innerlich sagen kann: Wenn du nur wüsstest
Nochmal: Ich kann grundsätzlich nachvollziehen, dass es einen provozieren oder sogar traurig machen kann, wichtige Storymomente nicht unmittelbar, quasi live zu erleben. Gleichzeitig öffnet so etwas aber auch die Tore zu ganz neuen Elementen der Story oder neuen Perspektiven.
Dass Menschen sauer sind, weil sie mit dem Verlauf einer Story nicht zufrieden sind, oder sich für die ein oder andere Figur ein anderes Ende gewünscht hätten, verstehe ich vollkommen. Aber im Endeffekt wären sie ohnehin unzufrieden gewesen. Und ist negative Emotion nicht auch Emotion? Jetzt schreien alle auf, dass sie dieses scheiss Spiel nicht mehr kaufen werden, dass Naughty Dog alles ruiniert hat usw. Ich aber sitze hier und denke: Leute, erstens wird The Last of Us für immer da sein, inklusive seines großartigen, offenen Endes, das jeder mit seinem eigenen Kopfkino ausfüllen kann. Zweitens, wartet doch einfach erstmal ab. Vielleicht werden durch Spoiler „ruinierte“ Handlungsabschnitte plötzlich nachvollziehbar, wenn ihr das große Ganze kennt oder ein (jetzt nicht mehr) schockierender Plot Twist wird von unglaublich tiefgehender Musik begleitet oder hat Folgen, die der Autor des Spoilerartikels gar nicht erwähnenswert fand, für euch aber die Welt bedeuten? Und selbst wenn euch das alles am Ende trotzdem anpisst und nervt und ihr wochenlang mit Freunden über das katastrophale Ende von Game of Thrones lästert und gemeinsam leidet… ist das nicht auch Unterhaltung?
Ich weiß, ich weiß… die Mitglieder des wütenden Mobs schreien immer am Lautesten und es werden am Ende des Tages relativ wenige sein, die das Spiel tatsächlich gar nicht mehr kaufen oder absichtlich negative Rezensionen schreiben. Aber ich wollte dem Ganzen einfach mal meine Meinung entgegenhalten. Spoiler müssen nichts Schlimmes sein, man kann viel aus ihnen mitnehmen.